Als wir am Vorabend des Gesprächs mit dem Auto auf der Höhe von Berlin auf die A9 Richtung Magdeburg abbogen, suchte mein Sohn auf der Festplatte unseres Autos nach “Ich will nicht nach Berlin” von Kraftklub und sang lauthals mit. Mein stolzes Grinsen blieb ihm verborgen und von da an war ich mir bewusst, dass nichts mehr schiefgehen konnte. Knapp eine Stunde später waren wir in Leipzig.
Am nächsten Tag sah es zunächst so aus, als ob uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen würde und man es sich wahlweise unter, oder bei einem Regenschirm gemütlich machen müsste. Doch der Himmel über Leipzig kratzte im letzten Moment die Kurve und wurde freundlicher. Mein Treffpunkt mit Stefan Schwarz war das “Zierlich Manierlich” am Elsterwehr.
Da ich ein paar Minuten früher als verabredet eintraf, versuchte ich meine Technik vorzubereiten, also das überdrehte Gewinde des Diktiergeräts doch irgendwie am Einbeinstativ zu befestigen, was meistens eine unansehnliche Fummelei ist. Zur Motivation und zum Aufwärmen der kalten Finger bestellte ich mir einen heißen Quittensaft mit Zimt und Ingwer. Warum keinen Kaffee? Weil ich zu viel Max Goldt gelesen habe, was vermutlich gar nicht geht. Bereut habe ich weder die Lektüre noch das erfrischende, ungewohnte Heißgetränk. Für einen Kaffee bezahlte ich trotzdem, denn so kommen die in Leipzig untergebrachten Flüchtlinge dort an einen Gratiskaffee. Eine tolle Aktion und eine Zierde für jedes gastronomische Unternehmen. Ausgezeichnete Manieren haben sie, die Leipziger, denen ich während meines Aufenthalts dort ausnahmslos begegnet bin.
Dann kam Stefan Schwarz und während ich noch mit meiner Technik rang, setzten wir uns in Bewegung. Auf dieser Aufwärmrunde erfuhr ich bereits, dass er wohl ein Schreibzimmer haben muss, dass er Schwimmen geht, sollte ihm gar nichts einfallen und dass das Geheimnis des Schreibens das tägliche Schreiben sei. Das wollte ich gerne noch mal auf Band haben, weshalb wir natürlich beide nicht mehr darauf zu sprechen kamen und euch meine spärliche Zusammenfassung genügen muss. An Themen mangelte es uns auch so nicht.
Wir spazierten dann am Richard Wagner Hain entlang, über das Elsterwehr in den Palmgarten, wo wir ein paar entspannte Runden drehten, wovon ihr euch selbst im Podcast überzeugen mögt.
Abgesehen von unseren laufenden Nasen ging es thematisch diesmal um Vergesslichkeit in der Ehe, das Schreiben, Leipzig, Rudervereine, diverse deutsche Fragen, SEDWITZ natürlich, den Kapitalismus, das deutschsprachige Vietnam, um das Banjo und ein Schlepperboot. Zum ersten Mal gibt es auch eine “safety card” zu hören, wo wir uns verplappert haben und zu sehr vom Thema abdrifteten.
Nach der Aufzeichnung überreichte ich Stefan Schwarz noch ein Mitbringsel und wir verabschiedeten uns. Auf dem Weg zurück ins Hotel lief ich Am Elsterwehr noch an einer Flüchtlingsgruppe vorbei: Zwei Männer kickten einen Fussball gekonnt auf einer Wiese hin und her, eine Frau und mehrere Kinder schauten ihnen dabei zu. Als ich an ihnen vorbei ging lächelte ich ihnen zu. Die Frau bemerkte, dass ihre Kinder mir zuwinkten, drehte sich zu mir und lächelte mich an. Ein Lächeln wie dieses habe ich schon einmal gesehen. Vor 26 Jahren, in Vilshofen, als die ersten Flüchtlinge aus der DDR bei uns eintrafen.
Es hätte wunderbar gepasst, wenn die Sonne sich in diesem Augenblick gezeigt hätte, die wartete damit allerdings noch eine Stunde. Bis die Deutschen wieder verstehen, was es mit der Freiheit und dem Recht auf Unversehrtheit auf sich hat, werden noch ein paar Tage vergehen. Hauptsache der Hass verzieht sich, wie die Wolken an jenem Samstag am Himmel über Leipzig.
Shownotes:
– Dokumentation über Oliver Storz
– Enzensberger-Essay, kurzer passender Beitrag dazu aus der FAZ
– Volker Pispers über Mauer, DDR und schlechtes Wetter
– Stefan Schwarz auf Twitter und seine Verlagsseite
Crosspost auf Fortsetzung.tv und iTunes Direktlink.
Sehr feine Podcast-Episode. Es war, als ob ich neben euch spazieren gegangen wäre.
Vielen Dank, genauso soll sich das anfühlen. Allerdings wäre es von der Mikrofonposition her so, als würde man rückwärts vor uns herlaufen.